Dolaranis

Die Drachtur war auf dem Weg in das Klinges-System, das sich in der Nähe des Martran-Systems befand, auf dessen bewohnbarem Planeten Tragan wir in unserer ersten Mission das notgelandete Schiff gefunden hatten. Dort gab es einen bewohnbaren Planeten der Klasse M. Sein Name war Dolaranis. Marschall Kontess hatte die Aufgabe, die eingescannten Tollaggs auf diesem Planeten anzusiedeln. Wäre es nach ihm gegangen, hätten wir sie einfach nur ausgesetzt oder schlimmeres, doch ich hatte ihn daran erinnert, dass die GMO eine humanitäre Organisation ist und diese Vorgehensweise nicht akzeptabel wäre. In meinem alten Leben hätte ich wahrscheinlich ebenfalls kurzen Prozess mit den Talloggs gemacht. Doch mein Mentor, der alte Marschall Bradlan, hatte mir meine „Menschlichkeit“ (wenn man bedenkt, welcher Spezies ich angehöre) wiederfinden lassen. Manchmal ist es eine größere Strafe, wenn man jemanden am Leben lässt. Marschall Kontess sollte vorab ein bewohnbares Umfeld schaffen, in dem wir dann die Talloggs ansiedeln konnten. Es lag dann an ihnen, etwas daraus zu machen.
Marschall Kontess saß in seinem Büro neben der Brücke und verfolgte auf dem Monitor, wie sich die Drachtur in die Umlaufbahn bewegte. Er stand auf und ging auf die Brücke. An den Funker gewandt sagte er: „Leutnant Ontarus, rufen sie mir Marschall Antaches auf die Brücke.“ „Ja Sir.“ antwortete dieser und gab den Befehl über Funk weiter. Fünf Minuten später kam Marschall Antaches auf die Brücke: „Sir?“ Marschall Kontess stand neben Captain Winara. Er drehte sich zum anderen Marschall um. „Sie übernehmen die Koordination für die Ansiedlung der Talloggs. Hier auf dem Tablet steht alles Nötige von Marschall Bradlan. Lassen sie eine entsprechende Ansprache an die Tallogs vorbereiten. Jemand soll sie denen vortragen, wenn sie unten angekommen sind. Steht auch auf dem Tablet. Melden sie sich, wenn alles vorbereitet ist. Wir sehen uns den Planeten an und suchen eine geeignete Stelle.“ Marschall Antaches nahm das Tablet entgegen und nickte Marschall Kontess zu: „Ja Sir. Ich bereite das mit Leutnant Liante vor und melde mich.“ Kontess nickte nur und Marschall Antaches verließ die Brücke. Leutnant Viona Liante war eine Ingenieurin vom Schiffs-Team und stammte von Briggs Planeten. Sie kannte sich mit den benötigten Wohncontainern aus. Diese Technik stammte ebenfalls von Briggs Planeten und wurde bei Bauarbeiten, aber auch bei neuen Siedlungen verwendet. Marschall Kontess wandte sich an Captain Winara: „Captain? Setzen sie einen Kurs um den Planeten. Ich brauche einen Komplett-Scan. Wir brauchen einen geeigneten Platz.“ Captain Winara drehte sich auf ihrem Stuhl: „Wenn ich ein paar Bojen verwende, bekommen wir den Scan in einer Stunde hin.“ „Dann tuen sie das. Ich bin in meinem Raum.“ „Ja Sir.“ Der Marschall verließ die Brücke und Captain Winara drehte sich zum Funk- und Taktikpult: „Leutnant Ontarus? Wie viele Bojen benötigen wir dafür?“ Der Funker rechnete kurz durch: „Ich denke acht sollten reichen. Damit kann ich alles abdecken.“ „Danke. Bereiten sie alles vor und schicken sie sie raus. Der Marschall wartet nicht gerne.“ Dabei verdrehte sie leicht die Augen. Leutnant Ontarus verstand und nickte kurz, bevor er sich zu seinem Pult drehte und mit der Arbeit anfing. Auch er kannte den ehemaligen Oberst und seine fordernde Art.
Dolaranis war eine grüne Oase, in der es eine Vielzahl von tierischem Leben aber nach unseren Erkenntnissen keinerlei intelligentes Leben gab. Es gibt im Universum viele Planeten, auf denen die Wasserflächen überwiegen. Riesige Ozeane mit verschieden großen Kontinenten. Dolaranis war im Grunde eine einzige Landmasse durchsetzt mit riesigen Seen und Flüssen. Ein Paradies, in dem es aber mit Sicherheit die eine oder andere Gefahr von Seiten der Tierwelt, aber auch der Pflanzenwelt gab. Am Rande eines Sees, ein Fluss mündete ganz in der Nähe, befand sich eine riesige Lichtung. Im näheren Umfeld sollte es den Scans nach keine größeren wilden Tiere geben. Dieser Ort sollte es werden. Marschall Antaches leitete die Operation von der Brücke aus. Leutnant Liante arbeitete aus einem Transporterraum heraus. Sie waren über Funk verbunden. Der Marschall fragte: „Leutnant, sind ihre Leute vor Ort?“ „Ja Sir. Sie stellen gerade die Transport-Verstärker auf. Ich denke, wir können in zehn Minuten mit dem ersten Container beginnen.“ „Das hört sich gut an. Danke. Melden sie sich, wenn wir beginnen. Ich bin auf der Brücke. Ende.“ „Ich melde mich Sir. Ende.“ Um komplette Wohncontainer mit den Materie-Energie-Transportern auf die Oberfläche zu schicken, mussten dort einige Verstärker aufgebaut werden. Für kleinere Mengen, wie Kisten mit Vorräten oder auch Personen brauchte man das nicht, aber diese Container waren zu groß dafür. Einer der Krefts, die diese Verstärker aufgebaut hatten, meldete sich bei Leutnant Liante: „Kreft Pastal an Leutnant Liante. Kommen bitte.“ Leutnant Liante saß schon bereit und antwortete sofort: „Hier Leutnant Liante. Sind sie soweit?“ „Ja Mam. Die Verstärker stehen. Die Verbindung ist aufgebaut. Wenn sie wollen, kann´s losgehen.“ „Danke Kreft. Ich gebe dem Marschall Bescheid. Gehen sie mit ihren Leuten aus der Zone und bleiben zur Kontrolle auf Empfang.“ „Ja Mam. Wir befinden uns auf der Anhöhe neben der Lichtung. Ich melde mich, falls es Probleme gibt.“ „Danke, dann bis später. Ende.“
Nach und nach materialisierten zehn vorgefertigte Wohncontainer. Sie standen leicht diagonal in einer Reihe. Auf der Lichtung war noch genug Platz für weitere, falls wir irgendwann auf andere Schiffe der Talloggs treffen sollten und deren Besatzungen ebenfalls hier ansiedeln wollten. In jedem dieser Container gab es acht Wohneinheiten auf zwei Etagen verteilt für je zwei Personen. Damit gab es Wohnraum für hundertsechzig Personen. In den übernommenen Schiffen befanden sich fünfunddreißig, sechsunddreißig und dreiunddreißig Talloggs. Sie hatten also Reserve für weitere sechsundfünfzig Leute. Das waren fast zwei Schiffsmannschaften. Aber vermutlich würde der eine oder andere alleine wohnen wollen. Doch das war nicht unser Problem. In der Mitte der Container befanden sich große Energiespeicher, die an Solarzellen angeschlossen waren. Sie konnten die Wohneinheiten mindestens die nächsten hundert Jahre versorgen und in jedem Container gab es eine Wasseraufbereitungsanlage. Jede Wohneinheit war mit einem Wohnraum mit einer integrierten Küchenecke, einem Schlafraum und einem Waschraum mit einer Dusche ausgestattet. In der Küche gab es eine Arbeitsfläche mit einer integrierten Koch-Zone und eine Replikator-Anlage, mit der man sich Nahrungsmittel, Kleidung und andere Dinge des täglichen Lebens replizieren konnte, wie man es auch auf den Schiffen konnte. Allerdings war die Herstellung von Schuss- oder Energiewaffen mit einer mehrfachen Sicherung gesperrt. Die Müllentsorgung wurde ebenfalls von den Replikatoren übernommen. Der Müll wurde eingescannt und zurück in Energie verwandelt.
Marschall Antaches hatte die Materialisierung der Container verfolgt. Er stand etwas vor dem Captain und sagte in den Raum: „Damit haben die Talloggs erst einmal alles, was sie auf diesem Planeten zum Überleben brauchen. Was sie alles so auf dem Planeten finden und in ihr tägliches Leben übernehmen wollen, ist ihnen überlassen.“ Captain Winara wusste nicht so recht, ob sie gemeint war. Sie fragte: „Sollen wir Marschall Kontess dazu holen?“ Antaches drehte sich um und schaute sie an: „Nein, Captain. Das war erst Phase eins von drei. Jetzt lassen wir die Talloggs auf ihre neue Heimat los und warten, bis sie realisiert haben, wo sie sind und dann muss noch jemand da runter, ihnen ihre Situation erklären. Dann können wir den Marschall dazu holen.“ Winara nickte: „Soll mir Recht sein. Soll ich das Kommando für den Transport der Talloggs geben?“ Antaches überlegte und schaute zu Leutnant Ontarus, der gespannt zuhörte: „Leutnant, verbinden sie uns mit Leutnant Liante.“ Der Funker stellte die Verbindung her: „Leutnant Liante hier.“ kam es aus den Lautsprechern. Antaches fragte: „Ist für den Transport der Talloggs alles vorbereitet?“ „Ja Sir. Ich werde sie auf die freie Fläche vor den Gebäuden schicken. Dann können sie runter und ihnen ihre Rechte vorlesen . . . oder so ähnlich.“ Die Anwesenden auf der Brücke mussten lächeln. Aber der Spruch passte irgendwie. Antaches nickte dem Captain zu. Sie übernahm: „Ok, Leutnant. Dann schicken sie sie runter. Wir warten mit der Kontaktaufnahme, bis sie realisiert haben, wo sie sind.“ Leutnant Liante antwortete: „Aye Captain. Wir schicken sie jetzt runter.“ Sie hatte zwei Kollegen, die mit ihr den Transport durchführen sollten.
Nach und nach materialisierten nun auch die Talloggs in der Nähe der Wohncontainer. Sie waren etwas verstört. Für sie war keine Zeit vergangen. Noch eben waren sie auf ihren Schiffen und jetzt auf einer Planetenoberfläche. Sie schauten sich um und sprachen miteinander: „Was zum Teufel ist hier los? Wo sind wir?“ Nach ein paar Minuten waren alle unten. Die ersten befanden sich schon an den Eingängen der Container als eine Stimme ermahnte: „Passt auf! Das ist sicher eine Falle. Sie wollen uns hier einsperren.“ Einer, der an einer Tür stand, fragte: „Aber warum hat man uns nicht gleich in den Gebäuden materialisiert, wenn man uns darin haben will?“ Schulterzucken in der Runde. Und schon waren die ersten in den Containern verschwunden. Der Großteil blieb jedoch draußen und wartete ab.
Leutnant Liante meldete sich auf der Brücke: „Marschall Antaches. Die Talloggs sind jetzt alle unten und untersuchen bereits die Container. Vielleicht sollten wir mit unserem Besuch nicht zu lange warten.“ Der Marschall hatte die Situation wie gehabt auf dem großen Schirm auf der Brücke verfolgt. Er antwortete: „Da könnten sie Recht haben. Bereiten sie meinen Transport vor. Wie besprochen auf einem der Dächer und ich brauche einen Translator.“ „Ist alles vorbereitet Sir. Ich erwarte sie in Transporter Raum 3.“ „Danke. Brücke Ende.“
Marschall Antaches materialisierte auf einem der mittleren Container. Leutnant Liante behielt ihn vorsichtshalber mit dem Transporter im Visier. Die Container waren hoch und man konnte nicht so einfach daran hochklettern, aber sicher ist sicher. Er ging zum Rand und schaute nach unten. Die Talloggs waren damit beschäftigt, die Wohnräume zu besichtigen nur ein paar standen draußen und unterhielten sich. Niemand bemerkte ihn auf dem Dach. Er hatte eine Art Megaphon mit externem Mikrophone mitgebracht. Darin integriert war ein Translator. Die Sprache der Talloggs hatte man aus den Speichern der eroberten Schiffe und spezielle Übersetzerprogramme, die mit mir bekannten Sprachen der Galaxien programmiert waren, hatten sie weitestgehend übersetzt. Der Marschall setzte das Mikrophon an und sprach zu den Talloggs: „Hallo Talloggs. Bitte versammelt euch. Ich habe euch etwas zu sagen.“ Die Talloggs erschraken und schauten nach oben. Sie riefen durcheinander und nach und nach kamen die anderen wieder aus den Gebäuden. Marschall Antaches wartete, bis die meisten zu sehen waren, aber er zählte nicht extra durch. Dann fuhr er fort: „Ich bin Marschall Antaches von der Galactic Marschall Organisation. Unsere Organisation steht für Recht und Ordnung im All. Sie haben mit ihren Schiffen Chaos und Verwüstung über viele Planeten gebracht. Darum haben wir ihnen die Schiffe abgenommen und sie, die Talloggs, auf diesem Planeten abgesetzt. In anderen Kulturen wären sie mit dem Tod bestraft worden. Wir nehmen ihnen die Möglichkeit, weiterhin anderen Schaden zuzufügen und geben ihnen auf diesem Planeten die Möglichkeit, ein neues Leben anzufangen. In den Wohneinheiten haben sie alle Voraussetzungen, zu überleben. Was sie nun daraus machen, liegt an ihnen. Sie sind hier auf sich gestellt. Wir werden sie allerdings aus dem All überwachen.“ Er machte eine Pause. Die Talloggs standen wie versteinert da. Dann brach es aus ihnen heraus. Sie schrien durcheinander, man könne ihnen das nicht antun und so weiter bis zu Morddrohungen. Dann setzte Antaches noch mal das Mikro an den Mund: „Das hier ist keine Verhandlung sondern Fakt. Machen sie das Beste daraus.“ Er schaltete das Mikro aus und rief das Schiff: „Leutnant Liante, holen sie mich hoch.“ „Ja Sir.“ Dann war der Marschall vom Dach verschwunden. Die Talloggs liefen durcheinander und suchten eine Möglichkeit, aufs Dach zu kommen. Sie würden eine Weile brauchen, um sich an ihr neues Leben zu gewöhnen.
Zurück auf der Drachtur kam Marschall Antaches wieder auf die Brücke. Er wollte Marschall Kontess informieren. Doch der Marschall stand bereits neben dem Captain-Stuhl. „Marschall Antaches, willkommen zurück. Wir haben ihre Ansprache über den Kommunikator verfolgt. Ich glaube, die haben das noch nicht ganz verarbeitet. Die laufen immer noch wild durcheinander. Sie glauben wahrscheinlich, es passiert noch was. Egal. Das war gute Arbeit – auch an Leutnant Liante.“ Antaches war näher gekommen. „Vielen Dank Sir. Ich gebe das gerne an Leutnant Liante weiter. Ich lasse sie noch ein Boje aussetzen, damit wir die Talloggs aus dem All im Auge behalten können. Dann sind wir fertig.“ Kontess nickte. „Lassen sie zwei Bojen hier. Zur Vorsicht.“ „Ja, Sir.“ Kontess drehte sich zu Captain Winara: „Wenn der Marschall fertig ist, setzen sie Kurs auf Tollax.“ Sie nickte: „Ja Sir.“ Dann war der Marschall wieder in seinem Büro verschwunden.

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Verschollen