Regelwerk

Da unsere Basis nun langsam Formen annahm, konnte ich an einen weiteren Aspekt der GMO denken: Ein Regelwerk. Es mußte grundsätzliche Regeln geben, an die sich alle halten sollten und spezielle für die Marschall- und die Schiffs-Crew. Da ich vor kurzem einen Vorfall mit neuen Mitgliedern unserer Teams hatte – es waren Marschall Konteß und Captain Winara – dachte ich so bei mir: „Ich glaube, das sind genau die richtigen Kandidaten, dieses Regelwerk auszuarbeiten.“ und grinste. Laut sagte ich: „KIM?“ „Ja, Sir?“ „Gib mir bitte die Drachtur.“ „Ja, Sir!“ Kurz darauf sah ich auf die Brücke der Drachtur. Marschall Konteß stand neben dem Captain-Stuhl und sah mich aufmerksam an. Captain Winara war nicht zu sehen. Ich ergriff das Wort: „Marschall? Ich brauche sie und Captain Winara für eine wichtige Aufgabe. Nehmen sie bitte beide ihr Gepäck mit. Es wird eine längere Geschichte.“ Marschall Konteß sah mich verwundert an, sagte aber: „Ja, Sir. Ich gebe dem Captain Bescheid. Wer übernimmt solange das Kommando auf dem Schiff?“ Ich überlegte kurz und antwortete: „Das sehen wir noch. Ich brauche sie erstmal hier.“ „Natürlich, Sir. Wir machen uns gleich auf den Weg.“ „Danke Marschall. Wie gesagt: komplettes Gepäck. Nehmen sie bitte den Transporter.“ Ich wußte nicht, ob er mittlerweile etwas ahnte, aber er sagte nur: „Ja, Sir.“ Dann unterbrach ich die Verbindung.
Ich wußte, daß es etwas dauern würde, ihr Gepäck zu packen und zu uns auf das Schiff zu kommen. Daher nutzte ich die Zeit, einen Happen essen zu gehen. In unserer Kantine traf ich auf unseren Steuermann Thomas Landner. Ich replizierte ein Gericht aus der Datenbank und ging zu ihm rüber. „Hey Thomas. Darf ich mich zu dir setzen?“ „Elijah! Natürlich, gerne. Wie kommt ihr voran?“ „Gut. Wir sind gerade dabei, das Hauptgebäude zu beziehen. Einige Quartiertrakte sind fertig und der medizinische Komplex nimmt Formen an. Ich habe gerade zwei Kandidaten auserkoren, je ein Marschall- und Captain- Büro zu beziehen.“ „Ach? Wen denn?“ „Marschall Konteß und Captain Winara.“ Thomas lächelte. Er hatte damals die Geschichte mitbekommen. „Sollen die dort eine Aufgabe übernehmen oder willst du sie nur vom Schiff haben?“ Ich grinste „Im Grunde beides. Ich lasse sie je ein Regelwerk für ihre Abteilungen ausarbeiten.“ Thomas verzog das Gesicht. Ich ergänzte: „Fakt ist, daß wir das tatsächlich brauchen. Wir werden auf diesem Planeten Schulungen durchführen. Dieses Regelwerk wird irgendwann unsere Bibel werden.“ „Ja schon.“ meinte Thomas fast weinerlich. „Aber gerade die beiden? Da machst du ja den Bock zum Gärtner.“ Ich lachte. „Genau deswegen, Thomas. Sie sollen sich ernsthafte Gedanken darüber machen. Ich gebe ihnen die Möglichkeit sich jeweils ein Team dafür zusammenzustellen. Ich habe sie gerade zu uns auf´s Schiff geordert. Sie sollten bald eintreffen. Ich wollte schnell was essen.“ „Na dann hau rein. Guten Appetit.“ „Danke.“ Ich aß etwas hastig auf und verabschiedete mich von Thomas. Ich wollte wieder in mein Büro.
Trotzdem mußte ich noch zwanzig Minuten warten. Ich hatte mir das ganze schon überlegt. Die Quartiere auf Tollax waren bezugsbereit. Ebenso die Büros. Wir hatten im Hauptgebäude im linken Trakt die Marschall-Büros vorgesehen, im rechten die der Schiffs-Offiziere. Auch hier hatte ich schon so meine Vorstellungen. Wir brauchten eine Hierarchie bei den Marschalls und den Schiffs-Offizieren. Da ging meine Tür auf. Marschall Konteß und Captain Winara standen vor der Tür. Ich schaute hoch. „Kommen sie bitte rein.“ Sie traten ein und nahmen an meinem Tisch Platz. Ich hatte im Transporter-Raum Bescheid gegeben, daß sie das Gepäck in einen gegenüberliegenden Raum bringen sollten. Ich sah die beiden abwechselnd an. Dann begann ich. „Wie schon gesagt, habe ich eine sehr wichtige Aufgabe für sie beide. Leider habe ich nach wie vor das Gefühl, daß sie sich in ihrer momentanen Aufgabe nicht besonders wohl fühlen oder einfach noch nicht in ihr angekommen sind. Daher habe ich beschlossen, ihnen eine andere Aufgabe zu geben. Bitte sehen sie das jetzt nicht als Degradierung. Sie behalten natürlich ihren Rang. Die Aufgabe, die ich für sie habe, wird im ersten Moment vielleicht unbedeutend erscheinen, aber das ist sie bei weitem nicht. Ich weiß von ihnen beiden, daß sie in ihrer Arbeit für Platron bereits unterrichtet haben – beide.“ Ich sah in die Runde. Sie nickten beide etwas betroffen. „Ich brauche für unsere Arbeit ein Regelwerk für die beiden Abteilungen: Die Marschall-Crew und die Schiffs-Crew. Dieses Regelwerk wird in Zukunft eine Art Bibel für die GMO werden. Die Basis, auf der unsere Handlungsweisen aufbauen werden. Es muß ihnen klar sein, daß wir hier mit zwei wichtigen und voneinander getrennten Mannschaften arbeiten: der Schiffs-Crew unter dem Kommando des Captains, die nur für die Belange des Schiffs zuständig ist, und der Marschall-Crew, die für die Missionen, die Einsätze im All und auf Planeten, verantwortlich ist. Normalerweise hat keine der Crews über die andere zu bestimmen. Nur der Missionsführende Marschall hat dem Captain die Richtung der Mission und missionsrelevante Manöver vorzugeben. Wenn es hin und wieder auf den Schiffen, wo die Teams eingespielt sind, etwas lockerer läuft, spricht nichts dagegen. Die Crews können sich schon mal bei Bedarf ergänzen. Wichtig ist nur, daß jeder weiß, wo er im Zweifelsfall hingehört. Ein Marschall sollte mit mehreren Marschall Agents arbeiten. Jeder Agent wiederum hat einige Kreft-Teams von je etwa zwanzig Krefts zu befehligen. Die erfahreneren unter den Agents sollten ab und zu auch komplette Missionen leiten. Die Krefts, unsere Einsatzkräfte, sind mehr, als nur einfache Soldaten. Sie sind außerdem Fachkräfte aus den verschiedensten Gebieten. Aber das brauchen wir auch, bei den Aufgaben, die teilweise auf uns zukommen. Daher brauchen wir auf Tollax auch Ausbildungen auf verschiedenen technischen Gebieten.“
Nun schauten die beiden schon interessierter. Ich fuhr fort: „Außerdem brauchen wir eine Hierarchie sowohl bei den Marschalls, wie auch bei der Schiffscrew. Für die Marschalls dachte ich da an goldene bzw. silberne Sterne. In etwa so:
Ein Marschall mit einem silbernen Stern wäre eine Art Missions-Marschall auf Probe. Zum Beispiel ein Offizier, den wir aus einem Militär übernommen haben oder ein aufgestiegener Agent.
Ein Marschall mit einem goldenen Stern wäre dann ein normaler Missions-Marschall. Im Normalfall zuständig für alle Arten von Missionen.
Ein Marschall mit zwei goldenen Sternen wäre der leitende Missions-Marschall eines Schiffes. Er behält die Übersicht über die Missionen seiner Marschalls, kann aber auch selber die eine oder andere übernehmen.
Ein Marschall mit drei goldenen Sternen wäre ebenfalls ein leitender Missions-Marschall eines Schiffes, kann aber auch Missionen leiten mit dem Kommando über mehrere Schiffe. Das gilt dann zum Beispiel bei System- oder Galaxie-übergreifenden Missionen oder in Kriegseinsätzen.
Ein Marschall mit vier goldenen Sternen hätte die Befugnisse wie der mit dreien, allerdings kann er zusätzlich leitender Marschall eines Mutterschiffs oder der GMO-Basis werden. An den Mutterschiffen arbeiten wir noch.“ Ich grinste.
„Und ein Marschall mit fünf goldenen Sternen wäre dann der ranghöchste leitende Marschall, also zur Zeit ich.
Für die Schiffs-Crew haben wir bereits eine Hierarchie. Captain, Commander, Leutnant usw. Aber ich möchte, daß das überdacht und ausgearbeitet wird, und wir brauchen auch hier etwas Höheres auf der Basis. Etwa einen Admiral oder sowas.“ Ich machte eine Pause. „Ich habe ihnen meine Ideen auf die Tablets gezogen, die dort vor ihnen liegen. Sehen sie diese Aufgabe bitte als Chance für sie beide, einen wertvollen Beitrag für die gesamte GMO zu leisten. Ich möchte, daß sie ein Quartier auf Tollax beziehen. Jeder von ihnen wird sein eigenes Büro im neuen Hauptgebäude erhalten. Sie können beide über unsere Koordinatorin Peggy Stander je ein kleines Team beantragen, mit dem sie dann ein ihrer Crew entsprechendes Regelwerk erstellen werden.“ Marschall Konteß meldete sich zu Wort: „Das ist eine sehr gute Idee. Die Mannschafften benötigen eine gute Ausbildung und Disziplin.“ Captain Winara verdrehte leicht die Augen. Ich mußte schmunzeln und schaute zum Marschall rüber. „Marschall Konteß!“ Ich wartete, bis er mich ansah. „Sie erinnern sich bestimmt an das Gespräch, daß wir vor einer Weile hier zusammen hatten.“ Er nickte. „Ja, Sir.“ „Ich erwarte, daß sie diese Aufgabe im Sinne meiner damaligen Ausführungen ausarbeiten. Wir sind hier nicht beim Militär. Ich erwarte von Zeit zu Zeit einen Zwischenstand von ihnen zu bekommen. Captain?“ „Ja, Sir?“ „Sind sie bereit, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen?“ Ich lächelte ihr dabei zu. Ich hatte das Gefühl, sie war dankbar für diese Chance. Auch sie lächelte. „Natürlich, Sir. Es ist mir eine Ehre, diesen Grundstein zu legen. Darf ich eine Frage stellen?“ „Selbstverständlich, Captain. Ich bitte sogar darum.“ Ihr Lächeln verschwand. Etwas verlegen fragte sie: „Was haben Sie im Anschluss an diese Aufgabe mit uns vor? Werden wir wieder unser Kommando übernehmen?“ Ich schaute beide einen Moment an, dann antwortete ich: „Das kann ich jetzt noch nicht sagen, Captain. Das kommt etwas darauf an, was Sie aus dieser Aufgabe machen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Sie beide im Anschluss unsere Leute unterrichten. Ich werde auch noch andere Ausbilder brauchen, wie zum Beispiel für Waffen, Nahkampf, Psychologie aber auch, wie schon erwähnt, für diverse technische Berufe. Darüber können Sie sich im Laufe ihrer Aufgabe auch gerne schon Gedanken machen. Aber wenn es Sie beruhigt, schließe ich das Thema Kommando nicht generell aus. Aber dieses Gespräch sollten wir ein anderes Mal führen.“ „Ja, Sir. Danke, Sir. Ich werde mein Bestes geben.“ Ich erhob mich. „Davon gehe ich aus, Captain. Vielen Dank. Sie können gehen. Holen sie ihre Sachen gegenüber dem Transporter-Raum ab und begeben sich zum Hangar. Ein Shuttle wird sie beide runter auf Tollax bringen.“ Die Beiden standen ebenfalls auf und Captain Winara verabschiedete sich: „Vielen Dank Marschall.“ Ich nickte ihr zu. „Captain! Marschall Konteß? Einen Moment bitte.“ Captain Winara verließ den Raum und ich setzte mich wieder. Auch der Marschall setzte sich wieder. „Marschall?“ ich sah zu ihm rüber. „Ich weiß, was sie in ihrer Vergangenheit geleistet haben. Darum habe ich sie auch angeworben und sie haben sich für unsere Organisation entschieden. Ich könnte verstehen, wenn sie jetzt ihren Dienst lieber wieder auf Platron aufnehmen wollen. Ich würde auch ein gutes Wort für sie einlegen. Wenn sie aber weiter für uns arbeiten wollen, müssen sie sich langsam daran gewöhnen, das die Uhren bei uns anders ticken.“ Konteß sah nach unten und überlegte. Dann sah er auf. „Sir, das was sie hier aufbauen wollen, ist etwas sehr Großes und Wichtiges. Sie haben Recht, daß – wie sie sagen – die Uhren hier anders ticken. Daran muß ich mich wohl gewöhnen. Aber ich möchte auf jeden Fall ein Teil davon bleiben.“ Ich sah ihn fest an und nickte. „Dann nutzen sie diese Chance. Ich verlasse mich auf sie.“ „Danke, Sir.“ „Gut. Fliegen sie mit Captain Winara nach Tollax. Ich erwarte, von ihnen zu hören.“ „Ja, Sir. Danke, Sir.“ Erneut stand ich auf. Der Marschall verließ mein Büro.
Ich schaute hinter ihm her und ließ mir die neue Zentrale von Tollax geben. Leutnant Nandess, eine Nachwuchsfunkerin von unserem Schiff hatte vorerst den Dienst übernommen. „Marschall Bradlan. Was kann ich für sie tun?“ Wir kannten uns schon persönlich von der Einweihung der Zentrale. Wir hatten sie ein wenig wie eine Brücke eingerichtet. Nur den Captain-Stuhl gab es nicht. „Hallo Leutnant. Ist Ko Stander in ihrem Büro?“ Da das Wort ‚Koordinatorin‘ allen zu lang war, hatte sich die Kurzform ‚Ko‘ eingespielt. „Ja, Sir. Soll ich verbinden?“ „Ja, bitte.“ „Mache ich. Kommen sie auch mal wieder persönlich vorbei?“ „Mal sehen. In vierzehn Tagen ist ein Training angesetzt. Aber wir sind jetzt erst mal auf Mission.“ „Ach das Offiziers-Training. Na dann. Ich verbinde.“ „Danke.“ Und schon sah ich auf ein Symbol. Es war das neue Symbol der GMO. Dann sah mir Peggy entgegen. „Hey!“ hauchte sie mir zu. „Hey!“ gab ich zurück. Dann wurde ich ernst. Ich berichtete kurz von meiner Unterhaltung mit Marschall Konteß und Captain Winara. Sie wußte, daß ich es vorhatte, doch nicht wann. „Die beiden machen sich auf den Weg zu euch. Gib ihnen, wie besprochen, ein Quartier und ein Büro. Sie werden dich irgendwann auf ein Team ansprechen. Schau mal, was da geht.“ „Klar, mache ich. Gibt es sonst noch was?“ fragte sie mit einem Unterton. Ich lächelte sie an. „Naja, außer, daß ich dich vermisse? Nein, sonst nichts.“ Sie gab mir einen Flug Kuß und war zufrieden: „Dann ist ja gut. Bis später?“ „Na klar. Bis nachher.“ Sie unterbrach die Verbindung. Ich starrte noch eine Weile lächelnd auf den dunklen Monitor, ohne ihn wahrzunehmen.

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Personelle Veränderungen