Erkenntnisse

Es dauerte, bis die Bojen alle unterwegs waren. Wir ließen sie Stück für Stück von den Technikern mit ihren Koordinaten programmieren, dann konnten sie alleine ihre Position auf den Transportrouten einnehmen. Bis sich die letzte auf den Weg machte, vergingen ein paar Stunden. Ich nutzte die Zeit, um mich um mein altes Beiboot zu kümmern. Nachdem ich die Arrowhead übernommen hatte, war ich nur noch einmal kurz im Boot gewesen, um meine Sachen zu holen, die ich damals in aller Hektik zusammenpacken konnte. Es war nicht viel, da ich nie großen Wert auf persönlichen Besitz gelegt hatte. Ein paar Bilder der damaligen Crew und wenige Kleidungsstücke. Als ich die Schleuse öffnete, kam mir die abgestandene Luft entgegen. Beim Betreten kamen all die Erinnerungen wieder. Ich mußte an die Flucht denken und den Moment, als ich vor dem Spiegel stand als neuer Marschall Elijah Bradlan. Ich hatte mit den Tränen zu kämpfen und bekam kaum Luft, aber ich wollte dieses Schiff in Zukunft öfter für meine Reisen nutzen. Ich hatte bereits viele Jahrhunderte gelebt und viele Verluste hinnehmen müssen. Also riß ich mich zusammen und betrat die kleine Brücke. Hier gab es den Piloten- und Copiloten-Platz und dahinter zwei Not- oder Gästesitze. Im hinteren Teil gab es einen kleinen Aufenthaltsraum und ein Quartier mit zwei Etagenbetten. Gegenüber der Schleuse befand sich der Sanitärraum, der aber vom Aufenthaltsraum zu erreichen war. Ich setzte mich auf den Pilotensitz und atmete tief durch. Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als mich Leutnant Montain ansprach. Wir hatten uns verabredet, aber ich hatte nicht gemerkt, daß er ebenfalls das Boot betreten hatte. „Hey, alles klar?“ fragte er mich. Ich drehte mich mitsamt dem Stuhl zu ihm. „Ich habe Geister gesehen.“ Gab ich leise zurück. „Verstehe. Bist du sicher, daß wir dieses Schiff nehmen wollen? Du kannst doch auch ein anderes Shuttle nehmen.“ „Nein. Das ist schon ok. Es war nur der erste Moment. Du kannst die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Ich bin immer noch stolz, seinen Namen zu tragen.“ Christian setzte sich auf den Copiloten-Stuhl und sah mich an. „Kein Problem. War nur ein Vorschlag. Ich stürze mich immer in Arbeit, wenn ich etwas verarbeiten muß.“ Ich lächelte. „Ja, das kenne ich. Danke trotzdem.“ „Kein Problem. Dann laß uns mal die Systeme anschauen.“
Wir arbeiteten uns fast zwei Stunden durch die verschiedenen Systeme des alten Bootes und Christian notierte sich Werte und Möglichkeiten, das Schiff zu verbessern. Wir konnten sowohl die Schilde neu konfigurieren, als auch die Waffen verbessern, nachdem wir das Energiesystem mit neuen Modulen der Arrowhead aufgerüstet hatten. Alle Scanner sollten ausgetauscht und durch neueste Standards ersetzt werden. Man konnte sagen, sämtliche technischen Systeme würden nicht mehr wiederzuerkennen sein. Selbst die Konsolen mußten angepaßt werden. Sowohl von innen wie auch von außen bekam das Schiff noch einen neuen Anstrich.
Ich begleitete nicht alle Arbeiten, sondern nutzte die Zeit, mich etwas mit den Archiven zu beschäftigen. Besonders galt meine Aufmerksamkeit den Aufzeichnungen von Schiffssignaturen. Christian Montain hatte seine Leute, die sich zuverlässig um die Arbeiten kümmerten. So konnte er sich hin und wieder zu mir gesellen. Es dauerte eine Weile, aber ich wurde fündig. Ich verglich gerade die aktuellen Signaturen der Frachter, Linien- und Militärschiffe mit denen, die aus meiner Zeit mit der alten Crew stammten, als er sich mal wieder zu mir setzte. „Und? Schon was Interessantes gefunden?“ fragte er. Ich schaute nicht mal auf, als ich ihm antwortete: „Schau dir das mal an!“ Ich zeigte nur auf die Anzeigen. Christian beugte sich zu mir rüber. Ich erklärte: „Das sind die Muster der Talloggs Schiffe, die wir übernommen haben. Das hier sind die von den Überfällen.“ Christian bestätigte: „Die sind fast identisch. Das kann daran liegen, daß sie sich bereits etwas aufgelöst hatten, oder es sind noch andere Schiffe unterwegs. Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.“ Ich verglich selbst. „Sie sind sehr ähnlich, aber nicht identisch. Du hast Recht. Wir müssen also die Augen offen halten.“ Christian überlegte: „Sieht so aus. Die Frage ist noch, wie viele Schiffe haben sie noch?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Gute Frage. Das müssen wir herausfinden.“ Christian nickte und schaute vorne aus dem Fenster. „Das ist euer Job. Ich hab noch mit deinem Schiff zu tun.“ Er stand auf, legte mir kurz seine Hand auf die Schulter und ging wieder an die Arbeit. Ich schaute mir noch kurz die beiden Signaturen an, dann übertrug ich die Aufzeichnungen auf die Arrowhead und begann ein weiteres Thema zu recherchieren: Die Karten der Sonnensysteme.
Und auch hier machte ich einen erstaunlichen Fund. Als erstes blendete ich die aktuellen Karten ein. Ich sah mir die Systeme an. Es gab die aktuell bewohnten Systeme Trantara mit dem gleichnamigen Planeten, Planos mit dem Planeten Trobara, Barantus mit dem Planeten Milbara und Tiridon mit dem Planeten Lunara. Und wir kannten drei weitere Systeme: Nogariton, auf dessen bewohnbarem Planeten Nogara gesiedelt werden sollte und die Systeme Tornutus und Vagotara, deren Planeten zwar erkundet worden, aber aus verschiedenen Gründen nicht zur Besiedlung geeignet waren. Dann waren da noch die entfernten Systeme Sinotorus, Melantara und Plantorus, die aber nur eingezeichnet waren. Dorthin waren bisher keine Forschungsreisen erfolgt. Dann legte ich die alten Karten darüber. Sie waren etwas verschoben. „Computer? Berechne von dieser Karte die Zeitverschiebungen und korrigiere die Systeme.“ „Ja, Sir!“ antwortete der Computer. Die Identität „KIM“ hatte ich erst auf der Arrowhead eingerichtet. Hier gab es nur eine normale Einheit. Wenn ich das Schiff wieder nutzen wollte, mußte ich sehen, wie ich KIM auf beiden Schiffen nutzen konnte. „Sir, die Karte ist aktualisiert.“ „Danke!“ antwortete ich aus Gewohnheit. Ich hatte KIM an diese Umgangsformen gewöhnt. Dieser Bordcomputer legte keinen Wert darauf, beschwerte sich aber auch nicht. Ich verglich die Karten und staunte: „Die Namen kamen mir gleich so bekannt vor.“ Es gab in den alten Karten noch weitere Systeme. Man hatte damals bereits größere Gebiete kartographiert, als heute. Die Namen der entfernten Systeme Sinotorus, Melantara und Plantorus waren ebenfalls erwähnt. Und nicht nur das – auf Melantara und Plantorus wurde bereits damals gesiedelt. Ich erinnerte mich: ich war auf einer einfachen Transport Mission nach Plantorus dabeigewesen. Ich hatte das Schiff nicht verlassen gehabt, aber an den Namen konnte ich mich gut erinnern. Warum hatte man zu diesen Systemen keinen Kontakt mehr? Waren die alten Aufzeichnungen tatsächlich verlorengegangen?
Ich verließ das Schiff und sah mich um. Leutnant Gridala schaute auf. Er saß auf dem Boden und kontrollierte seine Einstellungen an einem Außenpanel. „Alles Ok, Sir?“ fragte er mich. Ich nickte und antwortete: „Wie lange werden sie für die geplanten Arbeiten brauchen?“ Er grinste: „Da uns Christian kaum Pausen gönnt, denke ich drei bis vier Tage, Sir.“ Ich mußte lächeln: „Das hört sich doch gut an. Danke Pawel.“ Er nickte mir noch zu und widmete sich wieder seinem Panel. Er war einer der besten Mitarbeiter in Christians Team. Ich hatte schon öfter mit ihm zu tun gehabt. Ich schaute noch einmal über das Schiff und ging dann Richtung Brücke. Es gab viel zu berichten. Auf dem Weg wurde ich von John gerufen: „Hey Elijah. Wir sollen uns gleich bei der Mochton melden. Kommst du bitte auf die Brücke?“ Ich antwortete lächelnd: „Das trifft sich gut, John. Ich bin sowieso gerade auf dem Weg. Ich habe auch einige Neuigkeiten.“ „Na da bin ich ja mal gespannt. Bis gleich.“ „Bis gleich.“

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Zwischenstand